Wahrhaben wollen und angemessen reagieren

Hintergrundinformation zur Postkarte „komm spielenˮ

„Mir wurde ein, für mein Leben wichtiges, für manch eine/n anderen Überlebens notwendiges ‚Lebenselement’ geraubt." So ordnet eine Person im siebten Lebensjahrzehnt ihr eigenes Geschädigt-Sein durch das Verhalten eines Kirchenmitarbeiters ein. Veröffentlicht hat diese persönliche Beschreibung der „Eckige Tisch", ein Zusammenschluss Betroffener. Den geschädigten Menschen letztlich Recht zu schaffen und weitere Straftaten auszuschließen unterstützt der Künstler Uwe Molkenthin mit einem eigens gestalteten Postkartenmotiv.

3677 in der hiesigen römisch-katholischen Kirche sexuell missbrauchte Kinder und Jugendliche hat die sogenannte MHG-Studie für die Jahre von 1946 bis 2014 ermittelt, 2225 in der evangelischen Großkirche EKD sexualisierter Gewalt ausgesetzte Personen die sogenannte ForuM-Studie für den Zeitraum von August 1945 bis 2020.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Fegert geht nach einer Hochrechnung aus Befragungen von einer um eine oder zwei Größenordnungen höheren tatsächlichen Zahl Minderjähriger aus, bei denen sexueller physischer Kontakt herbeigeführt wurde. Als Schätzwert gibt er 200140 Opfer unter den 2018 über 14-jährigen Einwohnern Deutschlands mit einem katholischen oder protestantischen Priester als Täter an. Von Verurteilungen erfährt man hingegen in größeren Abständen einzeln.

Um die Schwere des Unrechts und die Banalität der Verbrämung zu verstehen, kann man sich dem Werk von Uwe Molkenthin aussetzen, der Montage und den Worten dazu. Mit der Unterschrift „komm spielen" sind Kopf und Gliedmaße einer Kinderpuppe sowie ein herausgebrochenes Teil zu sehen, das an einen Penis eines Erwachsenen erinnert. Befestigt sind die Elemente an einem x-förmigen schwarzen Kreuz, wie es zur Folter verwendet wurde und im BDSM-Bereich Einsatz findet.

Der Kontrast von kindlichen und rohen Elementen wirkt beklemmend und unmittelbar. Zu Tage tritt auch ein Widerspruch zwischen sakralem Schein und triebhafter Realität, einem so interpretierbaren Andreaskreuz und überhaupt religiösem Kreuz einerseits und einer pädophilen Penetrationshandlung andererseits. An der Stelle des üblichen Korpus sind zerstörte Puppenteile fixiert. Aufschlussreich sind auch Farbwahl und Typographie.

Zu vielen anderen, differenzierten und mitunter koloristischen Werken von Uwe Molkenthin bildet „komm spielen" einen Gegensatz. Es handelt sich um eine seiner heftigsten Arbeiten. Sie macht die realen Brüche im Leben der geschädigten Kinder, eine oftmals lange gebrochene Persönlichkeit und gebrochene Sexualität plausibel. Dabei soll die Feststellung, Dokumentation und Anerkennung des Unrechts Ausgangspunkt für dessen letztliche Verarbeitung sein.

Der Begleittext bezieht nichtchristliche Religionsgemeinschaften ein. Ein Leben lang leiden auch Menschen nach bestimmten Formen einer religiös motivierten Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung. Bei der vollständigen oder teilweisen Entfernung des äußeren weiblichen Genitals handelt es sich für Uwe Molkenthin schlichtweg um einen „barbarischen Akt".

Im Bund für Geistesfreiheit erscheinen „Urteile statt Gutachten" über Pädokriminalität in religiös geprägten Einrichtungen als einer von mehreren Schritten notwendig, wie unter anderem 2022 in einer Protestaktion zusammen mit neun Betroffeneninitiativen deutlich wurde. Sie würden zu einer Entwicklung zum Besseren beitragen, wie dies auf auf einer anderen Ebene auch die Werke „Kriminalgeschichte des Christentums" und „Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des Christentums" tun, beide von Dr. Karlheinz Deschner. Wer Kirchenkritik wie von ihm als nur für die ferne Vergangenheit relevant betrachtet, dem kann man die Postkarte von Uwe Molkenthin entgegenhalten.

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